Burcu Kaya arbeitet seit knapp zwei Jahren bei der Per Mertesacker Stiftung. (Foto: Yellow Brick Road)

Der Garbsener SC ist einer von drei Vereinen, die mit der Per Mertesacker Stiftung kooperieren. Doch wie genau läuft das ab? Im Interview berichten die C-Juniorinnen-Trainerin Burcu Kaya sowie Timo Mertesacker als Vorsitzender aus der Praxis.

„Sport. Bildung. Integration.“ Über diese Schlagworte definiert sich die Per Mertesacker Stiftung. Aktuell unterstützt die gemeinnützige Organisation 100 Mädchen und Jungen dreier Vereine. Ziel der Stiftung ist es, Kindern aus sozialschwachen Familien, die aus diesen Gründen Bildungsnachteile haben, zu helfen.

Kaya und Mertesacker berichten

Neben dem Mühlenberger SV sowie dem Polizei-SV Hannover ist auch der Garbsener SC ein Kooperationspartner. Im Interview berichten dessen C-Juniorinnen-Trainerin Burcu Kaya sowie Timo Mertesacker als Vorsitzender aus der Praxis.

Hallo, Frau Kaya, der Namensgeber Ihrer Stiftung, Per Mertesacker, war dafür bekannt, in der Defensive eher mit gutem Stellungsspiel und Ruhe als mit Fouls zum Erfolg zu kommen. Hat sich das in Ihrer Mannschaft ebenfalls etabliert, oder wird da auch mal dazwischengehauen?

Kaya: (lacht) Wir wollen ja gesellschaftliche Werte vermitteln. Da gehört Fair Play auf dem Feld dazu. Aber im Zweikampf darf man auch mal ein bisschen robuster einsteigen. Solange es im Rahmen bleibt, halten wir auch entsprechend dagegen. Aber immer mit erlaubten Mitteln (schmunzelt).

Welche Kinder stehen im Fokus Ihrer Stiftungsarbeit, Herr Mertesacker?

Mertesacker: Zum Beispiel solche, bei denen die Eltern nicht mal eben ohne Probleme Nachhilfe bezahlen können. Wir sind ausschließlich in Brennpunkten unterwegs. Aktuell in Garbsen-Auf der Horst, Mühlenberg und im Roderbruch. In Zukunft können wir uns vorstellen, noch in weitere Problemstadtteile zu gehen. Dafür versuchen wir derzeit, weitere Unterstützer und Spender zu begeistern.

Kaya: Es geht um Bildungsarmut und mangelnde Sprachfertigkeiten. Das ist oft Nachwuchs aus Familien, in denen Rückhalt und Hilfestellungen fehlen oder die einen Migrationshintergrund haben. Wir stehen dazu in ganz engem Kontakt mit den Schulen (in Garbsen die Grundschule Osterberg, Anm. d. Red.). Letztendlich werden die Kinder, die zu uns kommen, von ihren Lehrkräften ausgesucht. Und wir versuchen dann, ihnen durch Lernförderung und Fußballtraining eine ganzheitliche Entwicklung zu ermöglichen.

Ist denn jedes der 100 Kinder Teil einer Fußballmannschaft?

Kaya: Ja, uns gibt’s nur zusammen. Fußball ist das Medium, das wir nutzen, um die Kinder zu erreichen und zu motivieren. Und auch die langfristige Bindung erreichen wir über den Fußball.

Mertesacker: Unsere Aktivitäten sind in der Tat sehr langfristig angelegt. Die Stiftungskinder bleiben ab der ersten Klasse zehn Jahre lang bei uns. Unser Ziel ist es, sie irgendwann in den Beruf zu bringen, mit den Werten vom Fußball versorgt. Für die Vereine ist das übrigens auch gut, weil die Spieler dort dann später vielleicht in der Herren- oder Damenmannschaft spielen. Eine klassische Win-win-Situation.

Als Trainerin und Pädagogin werden es dennoch sicher nicht immer nur angenehme Maßnahmen sein, die Sie zu treffen haben, oder?

Kaya: Es geht bei uns nicht nur um die sportliche Leistung, sondern auch um Schulisches und das Sozialverhalten. Wir haben ganz klare Regeln und Strukturen. Und wenn die nicht eingehalten werden, dann gibt es Konsequenzen – egal, ob es die Leistungsträgerin ist oder nicht. Es ist wichtig, dass die Kids ihre Grenzen kennen.

Sie sind da bestimmt mehr als ein „normaler“ Vereinscoach?

Kaya: Schon. Wir erhalten Einblick in die Alltags- und Lernstruktur, bekommen die Zeugnisse zugeschickt und wissen daher ganz genau, wo die Defizite liegen. Auch Familienstrukturen und kulturelle Befindlichkeiten bleiben uns nicht verborgen. Da hat man eine ganz andere Rolle, ganz andere Aufgaben und auch eine ganz andere Verantwortung mit einem großen Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder. Ich kriege auch abends mal Anrufe von meinen Mädels, in denen es nicht um Fußball geht.

Wissen Sie trotzdem noch, wer vor der zweiten Corona-Pause das letzte Tor für Ihr Team beim 4:3-Sieg gegen den SC Uetze geschossen hat?

Kaya: Natürlich, ich weiß doch, was für Tore meine Mädels erzielen! Das war Marie Klimek – mit einem Fernschuss.

Mertesacker: Wollen Sie nicht für Marie direkt eine Patenschaft übernehmen (schmunzelt)? Wir haben nämlich jetzt das Patenschaftsmodell ins Leben gerufen. Der Pate kann bei der Lernförderung selbst dabei sein – und eine Art Mentoring geben. Kostet 30 Euro im Monat. Ach so: Marie ist übrigens Linksfuß – und eine hervorragende und große Verteidigerin (lacht).

Das passt ja irgendwie zu Per Mertesacker … Kennen die Kids den Stiftungsgründer eigentlich alle? Viele dürften ihn ja nicht mehr selbst haben spielen sehen. Oder ist den meisten der Name nur bekannt, weil er auf den Trikots steht?

Kaya: Erst mal zu den Klamotten: Oft ist es ja so, dass man die Spielerinnen darauf hinweisen muss, bitte ihre Trainingsanzüge anzuziehen. Das musst du bei uns nicht machen, die haben die Jacken sowieso immer an. Neulich hat mich sogar eine Spielerin gefragt, ob sie ihr Trikot im Alltag als normales Kleidungsstück tragen darf.

Okay, dann scheint es wirklich eine große Identifikation mit Team und Stiftung zu geben …

Kaya: Genau. Wenn Per da ist, nimmt er auch an unseren Projekten und Turnieren teil. Und dann wollen alle immer nur mit ihm quatschen und ihm sofort alles zeigen. Da kann man auch eine gewisse Dankbarkeit ihm gegenüber beobachten. Auch vonseiten der Eltern übrigens.

Pers Biografie heißt „Weltmeister ohne Talent“ und beschreibt, wie man eine Menge schaffen kann, selbst wenn die Voraussetzungen nicht ideal sind. Gibt es – im Kleinen – auch bei Ihren C-Juniorinnen solche Triumphe?

Kaya: Die sportliche Entwicklung meiner Spielerin Sila Aksoy hat mich zum Beispiel überrascht und war eines meiner Highlights bislang. Am Anfang hatte sie für alles Energie, aber Fußball war eher nicht so im Fokus. Nun hat sie entdeckt, was es bedeutet, sich durch viel Training zu verbessern. Heute ist sie ganz klar eine Führungsspielerin, die sich fußballerisch so sehr weiterentwickelt hat, dass …

Mertesacker: … das für uns wie ein Weltmeistertitel ist.

Sie sprachen vorhin davon, dass es nicht bei 100 Kindern bleiben muss.

Mertesacker: Stimmt. Es können sich alle mit Interesse und Ideen bei uns melden. Was man davon dann realisieren kann, muss man sehen. Auf jeden Fall brauchen wir immer eine Partnerschule und einen Partnerverein.

Und wo soll es sportlich mit Ihrer Mannschaft hingehen, Frau Kaya?

Kaya: Wir haben ambitionierte Ziele, wollen Schritt für Schritt besser werden und in der Tabelle nach oben kommen.

Text: Ole Rottmann in Sportbuzzer (28.03.2021)